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Handwerk mit Nachwuchssorgen Viel mehr als Stuhl und Sofa

Norman Obst und Jörg Reinhardt aus Weißenfels gehören zu den letzten Polsterern im Burgenlandkreis. Nachwuchs ist rar - dabei ist die Arbeit sehr abwechslungsreich.

Von Beate Reinke 03.05.2024, 15:00
„Man sieht, was man tut“, meint Polsterer Norman Obst. Das mache ihn bei seiner Arbeit zufrieden.
„Man sieht, was man tut“, meint Polsterer Norman Obst. Das mache ihn bei seiner Arbeit zufrieden. Foto: Beate Reinke

Weißenfels - Früher war es ganz einfach. Der Weg zum neuen Sofa führte über den Polsterer. Diesen findet man inzwischen in der Region aber nur noch sehr selten. Sein Beruf wird im Handwerk nicht mehr ausgebildet. Stattdessen gibt es den Raumausstatter.

Betriebe dieses Zweiges sind zahlenmäßig mehr geworden. Während es 2003 nur 13 Raumausstatterfirmen im Burgenlandkreis gab, hat die Handwerkskammer jetzt 46 registriert. Die dort tätigen Handwerker decken ein breites Tätigkeitsspektrum ab: Neben dem Polstern zählen dazu das Verlegen von Bodenbelag, das Einkleiden der Wände, das Montieren von Sonnenschutz und das Dekorieren. Auszubildende gebe es im Burgenlandkreis gegenwärtig nicht, erklärt der Stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Halle, Jens Schumann.

Es ist nicht leicht, geeigneten Raumausstatter-Nachwuchs zu finden. „Aus ganz Sachsen-Anhalt kommen im Schnitt fünf bis sechs Lehrlinge“, teilt Ellen Flores vom Beruflichen Schulzentrum im sächsischen Dippoldiswalde mit, wo die theoretische Ausbildung für Raumausstatter aus mehreren Bundesländern durchgeführt wird.

„Man muss ein Händchen für den Beruf haben. Fingerfertigkeit ist nötig“, betont Jörg Reinhardt, der in Weißenfels eine Polsterei, Auto- und Bootssattlerei sowie Raumausstattung betreibt. Glück hatte er in den letzten Jahren nicht bei der Lehrlingssuche. „In der Probezeit hat es sich stets zerschlagen.“

Derzeit beschäftigt der gelernte Polsterer acht Mitarbeiter, darunter Polen und einen Syrer. Zu deren Arbeitsalltag gehört es, Materialien zuzuschneiden, zu nähen, das Innenleben von Sitzmöbeln zu gestalten und den äußeren Stoff zu befestigen. „Ich saß vor 14 Jahren letztmals an der Nähmaschine“, berichtet der Chef. Er habe mit Organisatorischem genug zu tun.

Stolz präsentiert Jörg Reinhard ein neues Verdeck. Sitzgarnituren für Yachten und neue Trabi-Sitze werden in der Werkstatt gefertigt. Auch 100 Jahre alten Stühlen verhilft man zu neuem Glanz.
Stolz präsentiert Jörg Reinhard ein neues Verdeck. Sitzgarnituren für Yachten und neue Trabi-Sitze werden in der Werkstatt gefertigt. Auch 100 Jahre alten Stühlen verhilft man zu neuem Glanz.
Foto: Beate Reinke

Das Team wage sich nach seinen Angaben beim Polstern auch an schwierige Schnittmuster und übernehme zudem Sattleraufträge. Dazu zählen das Herrichten des kompletten Interieurs von Autos, die Erneuerung von Cabrio-Verdecken sowie die Fertigung von Planen und Sitzgarnituren für Boote.

„Einen Sessel bauen lassen, das macht nicht gleich jemand“, stellt der 52-Jährige fest. Doch Gaststätten, Arztpraxen, das Naumburger Kino und die Gedenkstätte des Tierfilmers Heinz Sielmann zählten bereits zu seinen Kunden. „Manchmal hat man gleich 400 Stühle herzurichten.“ Wer die Leistung eines Handwerkers für Polster- und Sattlerarbeiten in Anspruch nimmt, dem gehe es um Qualität, meint der Weißenfelser. Durch hochwertige Federsysteme und Bezüge sowie Qualitätsarbeit mache man nicht nur aus Alt Neu, sondern erbringe Wertzuwachs. Die Kunden kämen aus einem großen Gebiet, zum Beispiel aus Leipzig und Merseburg, Altenburg und Naumburg.

Zwischen reparaturbedürftigen Stühlen, drei Nähmaschinen und Drucklufttackern hat Norman Obst sein Reich. Bereits seit 1990 ist er als selbstständiger Polsterer in Weißenfels tätig, vorher arbeitete er in der Werkstatt seines Vaters und erinnert sich an die Anfänge mit „Nähmaschine zum Treten und Anhänger am Trabi“. Zwischenzeitlich hätten drei Generationen unter einem Dach gearbeitet. Jetzt ist der Handwerker Einzelkämpfer und widmet sich vor allem Reparaturen.

„Die Arbeit macht mir Spaß. Jedes Stück ist wieder neu. Und man braucht eine Idee, wie man’s repariert.“ In alten Polsterungen fänden sich Stroh, Rosshaar oder Palmenfasern. Diese Vielfalt sei eine Herausforderung.

Mitunter seien die alten Möbel schon drei- oder viermal neu bezogen worden. Bei preiswerter Massenware von heute lohne sich kaum eine einzige Aufarbeitung.

Der Meister erneuert Liegen für Arztpraxen, saniert antike sowie reparaturbedürftige Sitzmöbel und passt die Größe von Wohnlandschaften an, damit diese auch nach einem Umzug in der guten Stube Platz finden. Eine lange Liege für einen großen Basketballer hat er gebaut, ein Biedermeiersofa für das Weißenfelser Museum aufgearbeitet und den Stuhl des hiesigen Bürgermeisters mit dem Wappen auf der Lehne wieder hergerichtet. Sogar originalgetreue Stoffe könne er weben lassen, um sie zu verarbeiten.

„Ich schätze die Tätigkeit als Selbstständiger, aber in der Branche wird man kein Millionär.“ Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass von 22 Schülern, die gemeinsam die Meisterschule besuchten, nur zwei übrig geblieben sind. Die Perspektiven für die Polsterer schätzt der 66-Jährige nicht als rosig ein. „Es wird immer welche geben, die ein bisschen reparieren, aber das Gewerk stirbt aus.“