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Schweiz Schweiz: Im Bett von Sepp Herberger

Von Lutz Bäucker 24.06.2004, 17:37

Halle/MZ. - Das ist schade: Nicht einmal der berühmte Stadion-Turm mit der Uhr, der Cinzano- und Chocolat Tobler-Reklame hat den Abriss überstanden. Fritz Hegi präsentiert zwar ein paar alte Fotos, doch das bringt das Gefühl auch nicht zurück. Zu radikal ist der Neubau des Stadions. 30 000 Zuschauer werden ab Sommer 2005 Platz finden - 1954 drängelten sich mehr als 60 000 Fans im Wankdorf! Trotzdem lohnt sich eine Tour durch Bern und zum Stadion, das vom Hauptbahnhof per Tram und sogar zu Fuß zu erreichen ist. Bern Tourismus bietet entsprechende Packages an, inklusive Anstecknadel und Erinnerungs-Postkarte.

Weitaus lebendiger als in Bern ist der 54er Mythos freilich in Spiez am idyllischen Thuner See, mit der Bahn in etwa 30 Minuten ab Bern zu erreichen. Dort logierte Bundestrainer Sepp Herberger mit seinem Team in jenem Sommer mehrere Wochen lang. Der längst zur Legende gewordene "Geist von Spiez" kam im Hotel "Belvedere" über Fritz Walter, Helmut Rahn und die anderen Nationalspieler. Er schweißte die krassen Außenseiter zum sensationellen Sieger über den haushohen Favoriten Ungarn zusammen.

Direktor Markus Schneider hält den Geist am Leben: Der junge Hotelchef hat in mühsamer Kleinarbeit Erinnerungsstücke, Devotionalien, Ton- und Bilddokumente zusammen getragen: "Ich bin schon ein bisschen verrückt", gibt der umtriebige Direktor zu. Die Besucher und Gäste seines hoch über dem Thuner Sees gelegenen Hauses danken es ihm: Das "Belvedere" atmet die Atmosphäre der 50er, ohne altmodisch zu wirken. Im dritten Stock hatte Herberger im Juni und Juli 1954 alle Zimmer für sein Team belegt: In "303" schliefen die Stars Fritz Walter und Helmut Rahn, in "310" wohnte der Chef höchstpersönlich. Messingschilder an den Türen künden noch heute davon. "Am Zimmer 303 klopfen fast alle deutschen Gäste und wollen rein: einmal das Bett sehen, in dem die Weltmeister lagen, einmal ein Foto über den Balkon hinaus auf den See schießen", lacht Schneider.

Der Mythos lebt: Tatsächlich läuft dem Hotelgast ein Schauer über den Rücken, wenn er im Bett von Herberger oder Liebrich schläft, sich am Waschbecken von Turek oder Morlock frisch macht. Die Waschschüsseln von damals gibt es allerdings nicht mehr. Markus Schneider hat sein Haus behutsam und stilecht auf zeitgemäßen Vier-Sterne-Standard gebracht.

Im Untergeschoss lockt ein Wellness-Bereich mit Mini-Pool und diversen Saunen. Der Blick aus den Spieler-Zimmern ist fantastisch, im großen, gepflegten Garten wandelt man auf den Spuren von Herberger und Walter. Und abends lässt sich der Gast im ehemaligen Bankettsaal von Schneider in die Vergangenheit entführen: braunstichige TV-Ausschnitte, der immer wieder elektrisierende Radiokommentar von Herbert Zimmermann, dazu Original-Wimpel, Kickstiefel, Trikots, das echte WM-Plakat, jede Menge Zeitungsausschnitte, Dokumente - eine einmalige Zeitreise für Fans, die hier ihre Gefühle ausleben können. Und wer mag, kann sich das WM-Festmenü vom Abend des 4. Juli 1954 servieren lassen.