„Werkstattgespräch“ im Autohaus Gottwald Gemeinsame Lösungssuche in Jessen - Handwerker und Politiker diskutieren Probleme
Kreishandwerkerschaft lädt zum „Werkstattgespräch“ ins Jessener Ford-Autohaus Gottwald ein. Warum fehlende Fachkräfte und Politikverdrossenheit zwei wichtige Themen sind.
Jessen/MZ. - Kreishandwerkermeister Enrico Reinecke legt bei seiner Eröffnungsrede den Finger gleich auf die Wunde. „Es werden Milliarden an Fördermitteln investiert, um Großkonzerne anzusiedeln, die auf unserem Arbeitsmarkt einen Fachkräftekannibalismus betreiben und das Problem des Personalmangels noch vergrößern.“
Ein heiß diskutiertes Thema des „Werkstattgesprächs“ im Jessener Autohaus Gottwald ist die Ausbildung von Fachkräften respektive das Heranführen von jungen Leuten an das Handwerk, denn die Betriebe im Landkreis bieten neben einer hohen Fachkompetenz auch das technische Know-how, Jugendliche in der Region zu halten sowie ihnen berufliche Perspektiven zu bieten. Andererseits geht es auch um Lehrabbrecher, wenig finanzielle Anreize und fehlende Motivation.
Lob vom Moderator
Jens Schumann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Halle, der als Moderator durch das „Werkstattgespräch“ führt, bescheinigt Landrat Christian Tylsch (CDU) mit Angeboten wie Ausbildungsmessen landesweit in der Champions League zu spielen. Dieser nimmt das Lob zwar dankend entgegen, doch aus seiner Sicht ist es zum genannten Wettbewerb noch ein langer Weg.
Wer Jugendliche für das Handwerk begeistern will, muss ständig neue Strategien entwickeln, ihnen Verantwortung übertragen, sie bei Praktika und Projektarbeiten unterstützen und sie ohne Vorgaben „einfach mal machen lassen“. Tylsch findet es bemerkenswert, dass zwei Schulen in Jessen – in diesem Fall das Gymnasium und die Sekundarschule Nord – seit Jahren eine eigene Ausbildungsmesse veranstalten, um junge Leute für Jobs in der Region zu begeistern.
Bundestagsabgeordneter Sepp Müller (CDU) betont, dass es enorm wichtig sei, finanzielle Anreize für Lehrlinge zu schaffen, die aufgrund ihrer qualifizierten Ausbildung zum Erhalt des Handwerks beitragen. Auf der anderen Seite gebe es Lehrabbrecher, die dem Arbeitsmarkt für immer verloren gehen und lieber Bürgergeld beziehen. Müllers Standpunkt: „Wer vom Staat Leistung erwartet, muss auch Leistung zurückgeben.“ Damit meint er ausschließlich junge, gesunde Menschen, die voll arbeitsfähig sind. Da seien aus seiner Sicht auch die Eltern gefragt, ihre Schützlinge mit auf Kurs zu halten.
Mit in der Runde sitzen auch Sven Thielicke, Kreishandwerkermeister Teltow-Fläming, und Peter Nitschke, Präsident Baugewerbeverband Sachsen-Anhalt. Ihr gedanklicher Ansatz bei der Lösung des Problems: Das Rad müsse nicht neu erfunden werden. Zu DDR-Zeiten haben Schüler in den Unterrichtsfächern ESP und UTP viel über Betriebsabläufe gelernt, praktische Arbeit geleistet und über Ferienarbeit sowie Praktika oft ihre berufliche Bestimmung gefunden. Dies sei vielleicht ein praktikabler Weg, um in einer Zeit der Reizüberflutung neue Impulse zu setzen.
Kein Patentrezept
Ein weiteres Schwerpunktthema des „Werkstattgesprächs“, zu der die Kreishandwerkerschaft eingeladen hat, ist die Kommunalpolitik. Dabei geht es in erster Linie um die Teilnahme an Wahlen sowie die Übernahme politischer Verantwortung. „Es muss uns gelingen, auch junge Leute für Ämter zu motivieren“, sagt Jessens Bürgermeister Michael Jahn (SPD), der aufgrund der aktuellen Lage in Deutschland eine gewisse Politikverdrossenheit spürt. Er habe zwar kein Patentrezept dafür, Menschen zu überzeugen, für ein Amt zu kandidieren, doch jeder solle sich die Frage stellen, ob er die Rolle des Entscheidungsträgers übernimmt oder sich lieber regieren lässt.
Amtskollege Stefan Schmidt (Freie Wählergemeinschaft) betont, dass er sich im Hinblick auf die Kommunalwahlen keine Sorgen macht, dass ein Stuhl im Annaburger Stadtrat unbesetzt bleibt, andererseits vollziehe sich in diesem politischen Gremium gerade ein Generationswechsel. „Alte Würdenträger gehen, neue kommen hinzu“, so Schmidt, der sich auch Bewerber aus Landwirtschaft und Handwerk gewünscht hätte. „Bei manchen Entscheidungen brauche ich einen kompetenten Ratschlag“, so der Bürgermeister.
Der Bundestagsabgeordnete kann die Politikverdrossenheit der Bürger nachvollziehen. „Die Leute haben genug schöne Worte gehört, sie vollen Taten sehen“, sagt er und erzählt, dass er pro Vierteljahr in verschiedenen Betrieben ein Praktikum absolviert, um sich die Probleme der Mitarbeiter unterhalb der Geschäftsführung anzuhören. „Oder wie hat Luther gesagt: Dem Volk aufs Maul schauen.“ Um dieses Land voranzubringen brauche es eine Agenda 2030.
In einem Punkt waren sich viele einig: Jeder Minister sollte über ein abgeschlossenes Studium oder eine Berufsausbildung verfügen.